Legasthenie


Was bedeutet "Legasthenie"?

 

Kinder mit einer Lese-Rechtschreibstörung (auch dyslexia oder Legasthenie genannt) haben massive Probleme beim Lesen und beim Rechtschreiben. Als mögliche Ursache einer Legasthenie wurden genetische Faktoren beschrieben, die neurophysiologische Prozesse der auditiven und visuellen Informationsverarbeitung beeinflussen. Nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Lese-Rechtschreibstörung sowie die die isolierte Rechtscheib- und die isolierte Lesestörung ein klar definiertes Störungsbild.

Bei der Legasthenie handelt sich um eine schulische Entwicklungsstörung, die Lese-, Rechtschreibstörung und die Rechenstörung zählen zu den spezifischen Lernstörungen. Als eine schulische Entwicklungsstörung bezeichnet man früh beginnende und meist chronisch verlaufende Lernstörungen, die sich nachhaltig auf die psycho-soziale Entwicklung der Betroffenen und ihrer Familien auswirkt. Die Intelligenz ist hierbei unbeeinflusst, Legasthenie hat also keineswegs was mit mangelnder Intelligenz zu tun.

Fachleute, Ärzte sowie manche Bundesländer (als Gesetzgeber der Legasthenie-Erlasse) unterscheiden zwischen den Begriffen der Lese- und Rechtschreibstörung und der Lese-Rechtschreibschwäche. Die Grundlage für diese Differenzierung ist jedoch nicht einheitlich und stiftet häufig Verwirrung. Kein Wunder also, dass die Begriffe Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Schwäche, Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten, Lese-Rechtschreibstörung oder kurz LRS für viele Menschen die gleiche Bedeutung haben und somit häufig auch synonym verwendet werden.

 

 

Was sind erste Anzeichen für eine Legasthenie?

 

Für den erfolgreichen Schriftspracherwerb ist der regelmäßige Schulbesuch maßgeblich.

Bei Kindern die auf Grund unterschiedlicher Probleme die Schule unregelmäßig besuchen, kann demnach nicht die Rede von einer Lese Rechtschreibschwäche sein. Auch wenn ein Schüler in anderen Schulfächern erhebliche Lernschwächen vorweist, wird nicht von einer Legasthenie gesprochen. LRS gehört zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen, demnach erreichen Schüler trotz ausreichender Unterrichtung und kognitiven Fähigkeiten keine ausreichende Lese-und Rechtschreibkompetenz. Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb werden häufig bereits kurz nach der Einschulung deutlich. Wenn nach drei bis vier Monaten Erstleseunterricht das Zusammenlauten einfacher Buchstabenabfolgen nicht gelingt, sind unterstützende Maßnahmen notwendig. 

In Bezug auf das Lesen haben sie Schwierigkeiten im Lesetempo, dem Textverständnis sowie in der Lesegenauigkeit.

Beispielsweise kann es vorkommen, dass Legastheniker Worte auslassen, verdrehen oder ersetzen, sehr langsam vorlesen und das soeben Vorgelesene inhaltlich nicht wiedergeben können.

Bezüglich der Rechtschreibstörung kommen Symptome vor wie das Vertauschen oder Auslassen von Buchstaben in Worten, falsche Buchstaben einfügen und Fehler bei der Anwendung der Rechtschreibregeln.

Selbstverständlich ist es normal, dass Kinder Rechtschreibregeln noch nicht perfekt beherrschen, bei Legasthenikern ist jedoch die Menge an Fehlern im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern deutlich erhöht.

Kinder können in den ersten Schuljahren ihr Defizit durch Auswendiglernen oft verstecken. Jedoch sind betroffene Kinder einem großem Stress ausgesetzt, bekommen oft Selbstwertprobleme oder emotionale Störungen. Es ist daher wichtig, Legasthenie frühzeitig zu erkennen. 

 

 


Welche Folgen kann Legasthenie haben?

 

Lesen lernen ist ein komplexer Prozess, der sich über die gesamte Schulzeit erstreckt, somit kann die ausgeprägte Lese- und Rechtschreibstörung zu einem globalen Schulversagen führen, da das Lesen auch in allen anderen Schulleistungsbereichen eine fundamentale Voraussetzung für den Wissenserwerb darstellt. Zudem ist Lesen eine zentrale Kulturtechnik, die eine wesentliche Grundlage für das lebenslange Lernen und somit für Bildungs- und Berufschancen und die Teilhabe an der Gesellschaft darstellt.

Vielen Kindern mit LRS fällt es schwer, Anweisungen an der Tafel richtig zu lesen und zu verstehen, Textaufgaben zu lösen oder sich selbst Inhalte aus Schulbüchern zu erarbeiten. In Klassenarbeiten bleibt den Kindern weniger Zeit zum Lösen der Aufgaben, weil das Lesen der Aufgaben länger dauert als bei anderen Kindern. Zudem müssen sie mehr Aufmerksamkeit auf den Schreibprozess richten und können sich weniger auf den Inhalt ihrer Antworten konzentrieren. Viele Kinder sind verunsichert, weil sie selbst nicht verstehen, warum ihnen das Lesen und Schreiben so schwer fällt, obwohl sie es gerne lernen möchten. Sie verlieren das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und tendieren dazu, bei Leistungsdruck schnell aufzugeben.

 

 

Die Kinder fühlen sich dumm, gehen nicht gerne zur Schule oder haben sogar Angst vor der Schule. Bei manchen Kindern führt die Belastung sogar zu körperlichen Beschwerden wie Übelkeit, Bauch- oder Kopfschmerzen. Andere Kinder neigen dazu, im Unterricht zu kaspern oder verstärkt Trotz- und Wutanfälle zu zeigen.

 

Ich vermute bei meinem Kind Legasthenie – wie gehe ich vor?

 

Zunächst ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und diese auch dem Kind zu vermitteln. Als erstes können Sie das Gespräch mit der Lehrkraft suchen und weitere Schritte mit ihr abklären. In der Regel besteht die Möglichkeit die Schüler und Schülerinnen im Rahmen des Deutschunterrichtes auf eine mögliche Lese- und Rechtschreibschwäche zu testen. Ist dies nicht zielführend ist der Gang zum Schulpsychologe sinnvoll, hier können förderdiagnostische Tests durchgeführt werden, um eine  mögliche Förderung im Betracht zu ziehen. In schwierigeren Situationen können Sie sich auch an außerschulische Beratungsstellen und/oder eine entsprechend spezialisierte psychologische oder kinder- und jugendpsychiatrische Praxis wenden.

 

 

 

Wie wird Legasthenie diagnostiziert?

 

Bei der Diagnostik der Legasthenie unterscheidet man zwischen zwei Arten der Diagnostik, der innerschulischen- und der außerschulischen Diagnostik.

Innerschulische Diagnostik bedeutet, dass im Rahmen der Schule eine Legasthenie diagnostiziert wird. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Legasthenie gemäß ICD-10, da diese nur von Kinder- und Jugendlichenpsychiatern/ innen oder approbierten bzw. psychologischen Psychotherapeuten/innen gestellt werden darf. Es ist vielmehr die schulische Feststellung, dass beim jeweiligen Kind Lese- und Rechtschreibprobleme vorliegen. Jede Schule hat den Grundsatz, ihre Schüler/innen individuell zu fördern. Die innerschulische Diagnostik ermöglicht es, Umfang und Inhalte der Förderung festzulegen.

Die außerschulische Diagnostik wird von Kinder- und Jugendlichenpsychiatern/innen oder approbierten bzw. psychologischen Psychotherapeuten/innen durchgeführt. Nur sie ermöglicht eine Diagnose nach ICD-10 und ist somit von zentraler Bedeutung. Auch wird sie in vielen Schulen berücksichtigt oder ist teilweise notwendig, um eine schulische Förderung und einen Nachteilsausgleich zu erhalten. Eltern sollten daher bei begründetem Verdacht einer Legasthenie frühzeitig die Diagnostik von einer Fachkraft durchführen lassen.

(Die Legasthenie-Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen ist eine Kassenleistung. Eltern brauchen allerdings eine Überweisung von dem/der zuständigen Kinderarzt/ärztin.) 

 

 


 

 

 

Was passiert nach der Diagnose?

 

Falls ein Kind die Diagnose Legasthenie erhält, ist nicht die Schuld bei den Eltern oder sogar dem Kind selbst zu suchen. Eine Legasthenie entsteht nicht, weil ein Kind zu wenig lernt oder die Eltern es zu wenig beim Lernen unterstützt haben. Die Ursachen einer Legasthenie sind vielfältig und haben einen großen neurogenetischen Anteil. Ziel sollte es daher stets sein, gemeinsam mit dem Kind und der Schule Lösungen zu finden, um das Kind beim Erlernen des Lesens und Rechschreibens bestmöglich zu unterstützen.

Nach der Bestätigten Diagnose sollten Eltern die Fachkraft bitten, im Gutachten auszuführen, welche Nachteilausgleiche oder Fördermöglichkeiten für den Schüler/die Schülerin angemessen sind. Mit dem Befund wenden sich Eltern an die Schule, am besten an die dort tätigen Schulpsychologen/innen. Fördermaßnahmen und ein eventueller Nachteilsausgleich können hier besprochen und beantragt werden.

 

 

 

Welche Fördermaßnahmen gibt es?

 

Zur Unterstützung diagnostizierter Schüler*innen wurden letzten Jahren zahlreiche inner- und außerschulische Trainingsprogramme zur Verbesserung der Lese- und Rechtschreibfähigkeiten entwickelt. Oft gibt es Förderunterricht in der Gruppe oder es werden spezifische LRS-Klassen angeboten. Für viele Kinder ist jedoch eine außerschulische, individuelle Therapie mit einem auf das jeweilige Kind abgestimmten Therapieplan erforderlich. In den meisten Fällen benötigen die Kinder eine Förderung über mehrere Jahre. Je früher damit begonnen wird und je besser die Therapie auf das Kind abgestimmt ist, umso größer sind die Erfolgsaussichten. Trotzdem haben viele Betroffene auch noch im Erwachsenenalter Schwierigkeiten. 

 

 


 

Welchen Arten von Nachteilsausgleich gibt es?

 

Mit dem Nachteilsausgleich sollen betroffene Kinder in der Schule individuell unterstützt werden, weil ihr gesamtes Lernen durch die LRS beeinträchtigt ist. Die Maßnahmen können ganz unterschiedlich sein, sollten alle Schulfächer betreffen und hängen davon ab, womit das jeweilige Kind besondere Probleme hat. Das bedeutet, dass die Maßnahmen von der Lehrkraft gemeinsam mit dem Kind, den Eltern und der therapeutischen Fachperson festgelegt und fortlaufend angepasst werden müssen. Denn nicht jedes Kind benötigt alle Formen des Ausgleichs.

Folgende Möglichkeiten anderer Leistungsbeurteilung gibt es:

Gängige Möglichkeiten sind:

  • Verlängerte Arbeitszeiten oder Pausen (z. B. bei Prüfungen)
  • Bereitstellen oder Zulassen technisch-didaktischer Hilfsmittel 
  • Differenzierte Aufgabenstellung bei Hausaufgaben oder Prüfungen
  • Aufgabenstellungen, die dem Lernstand des Kindes entsprechen
  • Mündliche statt schriftliche Arbeiten
  • Noten können durch schriftliche Bewertungen ersetzt oder ergänzt werden
  • Die Bewertung geschieht auf Basis des individuellen Lernfortschritts oder aufgrund einer anderen Gewichtung des Schulstoffs
  • Beim Übertritt an eine andere Schule spielt die Benotung eine geringere Rolle
  • Die Benotung wird für einen bestimmten Zeitraum komplett ausgesetzt (Notenschutz)

 

Änderungen bei der Leistungsbeurteilung stellen oft das größte Problem und den größten Streitpunkt bei der Gestaltung von Legasthenie-Erlassen dar. Bei der Förderungen als auch dem Nachteilsausgleich wird wiederholt geprüft, ob sie noch notwendig sind. Ein Nachteilsausgleich darf nicht im Zeugnis vermerkt werden!

 

 

Kann Legasthenie "geheilt" werden?

 

Es ist durchaus möglich, dass bei Kindern, bei denen Legasthenie früh genug diagnostiziert wird, durch Training die Symptome eingedämmt werden können. Für betroffene Kinder ist es wichtig, viel zu üben und Lerndurchgänge öfter zu wiederholen als nicht betroffene Kinder. Allerdings können in in  Stress- und Prüfungssituationen oder nach längeren Übungspausen wieder vermehrt Fehler auftauchen, die bereits als ausgemerzt galten.

 

Kosten der Förderung

 

Die Kosten einer Legasthenie-Therapie werden vom Jugendamt unter bestimmten Voraussetzungen übernommen (§ 35 a SGB VIII). Die Therapie von anderen Störungen mit Krankheitswert, die neben der Legasthenie noch vorliegen, können von der Kassen übernommen werden, wenn die Therapie bei Kassenärzten/innen oder Therapeuten/innen durchgeführt wird.  Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre aus geringverdienenden Familien, bzw. die selbst geringverdienend sind, haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine Finanzierung der Lerntherapie aus Mitteln des Bildungspakets (BuT).